Gut gemeint, aber nicht gelungen

In der Heimat-Serie im «Tages-Anzeiger» fragen Redaktor*innen nur Menschen mit Migrationsgeschichte nach ihrem Verhältnis zur Schweiz. Warum?

Von Sara Winter Sayilir

Eine Redaktion aus Journalist*innen grossmehrheitlich ohne Migrationsvorteil befragt für eine Serie im «Tages-Anzeiger» Menschen mit Migrationsvorteil zum Thema Heimat. Bisher sind sieben Interviews online. Voilà die Infobox.

Infobox zur Heimat-Serie des Tages-Anzeigers (Screenshot)

Ich gehe mal davon aus, die Redaktion wollte etwas Progressives tun. Zeigen, dass die Schweiz auch Heimat von Menschen sein kann und darf, die nicht hier geboren sind. Womöglich auch, dass Zuwanderung nicht als bedrohlich empfunden werden muss und Integration erfolgreich verlaufen kann wie bei dem Politiker Mustafa Atici oder der Immobilienmaklerin Maura Wasescha. Diese Menschen mit Migrationsgeschichte tragen (trotz oder wegen derselben?) etwas zu unserer Gesellschaft bei, scheint die beabsichtigte Message zu sein, und was genau, dürfen uns die Interviewten selbst erzählen. Denn deshalb reden «wir mit ihnen, statt über sie». «Wir» – das meint die Redaktion, aber eben auch die weisse, schweizerische Mehrheitsgesellschaft.

Etwas weniger klar scheint, wer mit dieser Serie erreicht werden soll. Denn es ist längst eine Binsenweisheit, dass Menschen mit Migrationsgeschichte mehr als ein Drittel der Bevölkerung ausmachen und damit ein grosser, produktiver, diverser und entscheidender Teil der Schweizer Realität sind. Vielleicht möchte die Redaktion mit der Verbindung aus Migrationsthema mit dem häufig von rechts belegten Heimatbegriff einen Versuch machen, letzteren liberal und weltoffen neu zu besetzen? Das wäre schön. Eine offene Diskussion des Heimatbegriffs mit diversen, in der Schweiz ansässigen Personen wäre dann auch äusserst spannend. Warum nicht eine Serie machen, in der Mustafa, Andres, Flurina, Maura und Sarah über das Konzept Heimat und die Schweiz als Lebensmittelpunkt sprechen?

Als hätten alle ohne Migrationsgeschichte die gleiche Vorstellung von Heimat

Doch das wird nicht gemacht. Stattdessen lässt man nur Migrant*innen zu Wort kommen. Als hätten alle Schweizer*innen ohne Migrationsgeschichte die gleiche Perspektive auf Heimat (und müssten deshalb auch nicht interviewt werden), die Migrant*innen aber eine andere, (Achtung!) fremde, die es zu zeigen gilt. Es wäre spannend gewesen zu erfahren, wo sich Mustafa und Maura in ihren Ansichten mit Ursina und Andres treffen. Vielleicht wäre sogar deutlich geworden, dass Menschen beispielsweise derselben Einkommens- oder Bildungsniveaus und politischen Ausrichtung höchstwahrscheinlich mehr miteinander teilen als Menschen derselben Herkunftssprache oder -kultur. Oder ganz allgemein wie unterschiedlich das Konzept Heimat in den Köpfen der Menschen so aussieht.

Leider suggeriert das Konzept der Serie aber, dass «wir» (hier stellvertreten durch die Redaktion) Menschen mit Migrationsgeschichte offensichtlich immer noch auf das reduzieren, was sie von «uns» unterscheidet: ihre Migrationserfahrung. Ihre angebliche Fremdheit, die hier zwar u.a. über die Verbindung mit (ökonomisch-beruflichem) Erfolg irgendwie abzumildern versucht wird, aber halt doch anscheinend ewig bestehen bleibt.

Diese Form des Otherings spiegelt sich übrigens auch in der Wortwahl der Infobox: Die einen bekommen das Label Expats, während andere Migrant*innen bleiben. Darüber hinaus wird auch mit «Flüchtlingen» geredet, obwohl gerade in einem solchen Zusammenhang die Verwendung des Wortes Geflüchtete angezeigt gewesen wäre, ein Blick ins Glossar der Neuen Deutschen Medienmacher*innen hätte genügt. Was ist wohl die Norm in den Köpfen der Redaktor*innen, die sich dies ausgedacht haben?

Wäre diese Serie auch in einer diverseren Redaktion entstanden?

Es ist wie eine Reihe über erfolgreiche Frauen, die es trotz ihres Geschlechts ganz nach oben geschafft haben. Warum konzipiert der «Tages-Anzeiger» diese Serie auf diese Weise? Sicher war nicht die Absicht, Diversität so darzustellen, als sei diese eine Abweichung von der Norm. Vielleicht hätte eine diverser besetzte Redaktion diese Serie so nicht konzipiert, weil rechtzeitig jemand die zugrunde gelegte Annahme in Frage gestellt hätte. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht wären die Interviews etwas weniger monothematisch auf das Thema Migration fokussiert.

Stattdessen fragt die Redaktion tatsächlich mehrfach in verschiedenen Varianten ab, wie stark die Interviewten sich mit der Schweiz identifizieren und loten darüber gleichzeitig aus, welche anderen Loyalitäten dem womöglich im Weg stehen könnten. (Ein seltsam konservativer Blick auf ein hybrides Konzept wie Heimat übrigens.) Teilweise sind es einfach etwas verklausulierte Versionen der altbekannten Fragen: Wo kommst du her? Warum bist du hier? Warum sollen wir dir glauben, dass du zu uns gehört? Was tust du dafür? Und planst du vielleicht auch, irgendwann wieder zu gehen? 

Diversitätssensibler Journalismus ist das nicht, auch wenn das wohlmöglich das Ziel war.