Wer den Finger in die Wunde legt

Die ehemalige Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher, Ferda Ataman, wird neue Antidiskriminierungsbeauftragte der deutschen Bundesregierung. Die Kampagne gegen ihre Nominierung zeigt, dass viele keine nachhaltige Auseinandersetzung mit Rassismus wünschen.

Von Sara Winter Sayilir

Vier Jahre war die Position der Antidiskriminierungsbeauftragten der deutschen Bundesregierung vakant. Nun ist der Posten am 7. Juli mit der ehemaligen Vorsitzenden der Neuen deutschen Medienmacher (ndm), der Publizistin Ferda Ataman, besetzt worden. Als Neue Schweizer Medienmacher*innen verstehen wir uns als Partnerorganisation der ndm und arbeiten mit diesen zusammen. Ferda Ataman hatte uns auch gemeinsam mit Konstantina Vassiliou-Enz und anderen im Entstehungsprozess unserer Organisation beraten und begleitet.    

Ihre Nominierung Mitte Juni wurde von einer lauten Gegenkampagne begleitet, die Ataman fehlende Qualifikationen und vor allem ethische Fragwürdigkeit unterstellte, um die Personalie im letzten Moment abzuwenden. Die Vorwürfe, die man Ataman machte, stellten sich als haltlos und an den Haaren herbeigezogen heraus, wie der Journalist Stephan Anpalagan in seinem sorgfältig recherchierten Beitrag nachwies.

Die NCHM* liess die Gegenkampagne zwar nicht überrascht, aber doch etwas irritiert zurück. Ferda Ataman ist keine laute Provokateurin. Im Gegenteil, in der deutschen Debatte um Diskriminierung und Rassismus (in den Medien) ist Ataman eine der überlegten, inhaltlich fundierten, auch mal schlagfertigen und intersektional orientierten Stimmen, die Substanz und Ruhe reinbringen. Das macht ihre Mehrheitsfähigkeit aus – und sicher auch die Gefahr, die sie für diejenigen ausstrahlt, die nun wirklich lieber nichts ändern möchten. Ferda Ataman könnte was bewegen. Und nun auch noch mit amtlich legitimiertem Finger auf jene zeigen, die ihre ererbten Privilegien schützen oder sogar ausbauen möchten.

Offensichtlich ist die Bereitschaft zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Rassismus auch in Deutschland bei vielen immer noch gering. So wie auch in der Schweiz. Nicht zufällig war die NZZ ganz vorne mit dabei, Stimmung gegen Ataman zu machen.

Immer sind es dieselben Pseudoargumente, mal so, mal anders verpackt, ein bisschen konkret eingebettet, aber im Kern doch sehr redundant: Zunächst wird, wer öffentlich rassistische Strukturen oder Verhaltensweisen benennt, mit dem Verdacht belegt, selbst rassistisch zu handeln oder zu sein. (Was man durchaus so durchargumentieren kann, schliesslich kann man Rassismus als äusserst wirkmächtige, die ganze Welt prägende Ideologie sehen, von der niemand frei ist.) In der Regel haben die Ankläger jedoch keine Belege, sondern wollen diffamieren, um vom eigenen Tun abzulenken und dem Gegenüber die moralische Legitimation abzusprechen.

Bei rassifiziert gelesenen Personen wird zudem jedes Mal deren Unparteilichkeit und Integrität in Frage gestellt – als von Rassismus Betroffene könnten sie ja nur Groll gegen die Mehrheitsbevölkerung hegen und würden nun aus Rache bei jeder Kleinigkeit Alarm schlagen. Eine Person mit Migrationsgeschichte habe ausserdem nicht genug Abstand zur Herkunftskultur und sei folglich blind auf dem (wahlweise einzusetzen: türkischen, islamischen, jüdischen, asiatischen, afrikanischen, you-name-it) Auge. Wie soll so jemand bloss das Wohl der ganzen Gesellschaft im Blick haben?

Da steckt doch wohl doch immer noch der – Überraschung! – rassistisch geprägte Glaube dahinter, dass doch nur weisse, heterosexuelle, männliche, gesunde und in der Regel studierte Personen die Welt sinnvoll analysieren und andere legitim kritisieren können. Gerade wenn man sich selbst als besonders fern von rassistischen Reflexen wähnt, wird Kritik umso mehr als Affront verstanden und vehement zurückgewiesen.

Von Überzeugungstäter*innen ganz zu schweigen.   

Anpalagan benennt es trocken: «Rassismus ist schlimm, auf Rassismus aufmerksam gemacht werden ist viel schlimmer. Herzlich Willkommen in Deutschland.»

Das gilt genauso für die Schweiz. Wie für alles, was das positive Selbstbild in Frage stellt.

Was die Kampagne gegen Ataman zeigt, ist, dass Fortschritt nur mit viel Kampf erreicht und nur mit andauerndem Engagement aufrechterhalten werden kann. Ferda Ataman hat weit über zehn Jahre ihr Können und ihre Energie in die Arbeit für eine weniger rassistische Medienwelt gesteckt. Nun führt sie dies in grösserem Rahmen fort.

Wir müssen den Kampf für eine diverse Medienlandschaft in der Schweiz auch führen. Und wir haben auch schon angefangen. Bisher schlägt uns Anerkennung und Neugier sowie Veränderungswille entgegen. Das ist viel wert: Denn es ist schwierig genug, sich den eigenen Vorurteilen, rassistischen Reflexen und dem eigenen Veränderungsresistenz offen zu stellen. Und aufrichtige Anstrengung zu betreiben gegen den inneren Schweinehund, der immer mehr für sich selbst (oder die eigene Gruppe) als für andere will.

Es ist aber hochwahrscheinlich, dass die bisherige Neugier und das Eingeständnis in Ablehnung umschlagen, sobald es ans Eingemachte geht. Die Debatte um Ataman lässt darauf schliessen. Der Wind wird auch bei uns rauer wehen, sobald grössere Machtstrukturen nicht nur sanft kritisiert, sondern deren ganze Legitimation infrage gestellt werden. Wir sehen das auch am Beispiel der Gleichstellungsdebatte. Die Befürworter*innen von Diversität brauchen gute Argumente und einen langen Atem.

Dabei ist mittlerweile unstrittig, dass sich etwas ändern muss, wenn wir Medienschaffende uns weiter als fünfte Säule der Demokratie verstanden wissen wollen. Dafür muss die Berichterstattung und das beteiligte Personal sich öffnen und reflektieren. Vor allem an der Spitze. Und Verantwortung übernehmen. Gegenüber sich selbst, ihren Produkten, dem Nachwuchs, der Gesellschaft, der Demokratie. Dann können wir gemeinsam etwas bewegen.