Herausforderung Nahost-Berichterstattung

Für eine plurale, differenzierte Berichterstattung und einen Journalismus, der sich an demokratischen Grundwerten, Menschenrechten, Diversität und Toleranz orientiert. 

Wir erleben in unserem Beruf als Journalist*innen gerade schwierige Zeiten. Je länger der Krieg in Nahost andauert, umso deutlicher wird, dass weltweit Hass, antisemitische, antimuslimische, diskriminierende Äusserungen und Haltungen zunehmen. Und dies nicht nur in den Massen- und den sozialen Medien, sondern auch zwischen Privatpersonen. 

Wir beobachten, dass in der Berichterstattung einiger Medien Stimmung gegen bestimmte Personen und Positionen gemacht wird. Gerade bei rechtsgerichteten Medien wird der Krieg zwischen Israel und der Hamas zum Anlass genommen, um Ressentiments zu schüren, vor allem gegen Migrant*innen. 

Umgekehrt werden kritische Stellungnahmen, gerade auch zur Rolle der israelischen Regierung und Armee in diesem Konflikt, skandalisiert; die Grenzen zwischen sachlicher Berichterstattung und kommentierenden, zuspitzenden Zuschreibungen vermischen sich vielerorts. 

Und wir stellen fest, dass die Betroffenen dieses schrecklichen Krieges nicht in gleichem Mass zu Wort kommen.

Diese Entwicklungen erfüllen uns mit Sorge. Sie laufen den Grundhaltungen der NCHM* zuwider, die sich klar und unmissverständlich für eine plurale, differenzierte Berichterstattung einsetzen und für einen Journalismus, der sich an demokratischen Grundwerten, Menschenrechten, der Diversität und der Toleranz orientiert. 

In enger Anlehnung an die Stellungnahme unserer Schwesterorganisation, den Neuen Deutschen Medienmacher*innen, halten wir deshalb fest:

  • Viele Medienschaffende leisten gerade sehr wichtige Arbeit, um zu informieren und einzuordnen. Vor allem Medienschaffende aus der Region klären unermüdlich auf, während sie gleichzeitig Anfeindungen ausgesetzt oder teils persönlich betroffen sind. Sie berichten unter grossen Gefahren. 

  • Die Rolle von Journalist*innen besteht auch darin, menschenfeindlichen Diskursen, Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus Einhalt zu gebieten und keine Menschenfeindlichkeit zu reproduzieren.

  • Die klare und unmissverständliche Verurteilung von Terror, das Festhalten an den Menschenrechten, am Kriegsvölkerrecht und am Schutz der Zivilbevölkerung sollte die Leitlinie jeder Berichterstattung sein. 

  • Die Berichterstattung in einer pluralistischen Gesellschaft sollte immer auch Betroffenenperspektiven berücksichtigen und mitbedenken. Sowohl unter Journalist*innen als auch unter Medien-Rezipient*innen gibt es Menschen, die von dem terroristischen Angriff auf Israel und der anhaltenden Gewalt in Israel und Palästina persönlich betroffen sind. Sie und ihre Perspektive müssen Ausdruck finden, ihnen sollte mit Empathie statt mit Überwältigung oder Kollektiv-Vorwürfen begegnet werden.

  • Differenzierungen sind besonders in Zeiten von Kriegen wichtig. Wordings und Statements der Kriegsparteien sollten nicht unhinterfragt übernommen, Fakten überprüft und Bilder eingeordnet werden. Gerade jetzt ist es besonders wichtig zu hinterfragen, zu recherchieren, einzuordnen, Expert*innen und Betroffene hinzuzuziehen.

  • Die Berichterstattung braucht Perspektivenvielfalt und Ambiguitätstoleranz (Akzeptanz von Mehrdeutigkeit), aber auch klare Abgrenzung von extremistischen Positionen. Hintergründe sind wichtig. Dabei sollten Leid und Schmerz jedoch nicht relativiert, Gewalt gegenüber Zivilist*innen nicht gerechtfertigt werden.

  • Eigene Vorurteile haben in der Berichterstattung nichts verloren. Die aktuelle Situation für eigene ideologische Kämpfe zu instrumentalisieren, ist unangebracht.

  • Über Israel und Palästina zu berichten, bedingt, sich mit Antisemitismus und antipalästinensischem Rassismus auseinanderzusetzen.

  • Medienschaffende dürfen Generalverdachts-Debatten keinen Vorschub leisten. Jüd*innen müssen nicht zur Politik Israels Stellung beziehen. Palästinenser*innen oder Muslim*innen sind nicht kollektiv für die terroristischen Angriffe der Hamas verantwortlich gemacht und sollen nicht unter Generalverdacht gestellt werden.

  • Bilder von Gewaltszenen sollten nicht ohne vorherige Content-Warnung gezeigt werden. Bilder, die Terror zeigen oder sogar von aus terroristischen/extremistischen Quellen stammen, sollten auf keinen Fall ohne Einordnung reproduziert werden.

  • Vorsicht vor Desinformation und Propaganda. Auf den Sozialen Medien kursieren Propaganda-Videos und Bilder, die in falsche Zusammenhänge gesetzt werden oder Fake sind. Social-Media-Inhalte sind ohne journalistische Überprüfung keine zuverlässigen Nachrichten-Quellen.

  • Gerade in emotional aufgeladenen Zeiten ist es wichtig, Mitgefühl vor Hass zu stellen. Es gilt durchzuatmen und sich nicht von Spaltung und Hetze antreiben zu lassen.