Polarisieren mit allen Mitteln

Die Debatte zum Verhüllungsverbot verschiebt den Diskurs weiter nach rechts. Das ist intendiert. Doch die Medien steigen weiterhin willig auf die Themen der Rechtspopulisten ein – anstatt den antidemokratischen Geist der Initiative zu thematisieren.

Von Sara Winter Sayilir

Es ist nun schon das x-te Mal, dass uns das Egerkinger Komitee – Wahlspruch: «Stopp der Islamisierung der Schweiz» – in eine Debatte drängt, die vorgibt, Freiheiten und Werte zu verteidigen, in Wirklichkeit jedoch darauf abzielt, den Islam und die Muslime als fremd und nicht zur Schweiz gehörig zu markieren.

Eigentlich sollten wir die Taktik bereits kennen und durchschaut haben. Und doch tappen wir mit der aktuellen öffentlichen Debatte zielsicher wieder in die gleiche Falle: Wir lassen uns von der SVP mit ihren rassistischen Kampagnenplakaten, auf denen Niqabträgerinnen bedrohlich schauend oder neben Molotow-Cocktail werfenden Hooligans dargestellt werden – nicht zufällig in der Rechtsextremen vertrauten Farbcodierung schwarz-weiss-rot gehalten – und der Inszenierung einer Bedrohung durch «den Islam» und «die Muslime» zwingen, uns gesamtgesellschaftlich zu einer Religion und den Menschen zu positionieren, die daran glauben.

Diese Art Diskussionen über den Islam führen wir schon seit Jahrhunderten. Auf vielfältige Weise werden der Orient oder die islamische Welt als Gegenstück zu «uns» konstruiert, als Mittel der Abgrenzung von Selbstbild und Fremdbild. Nun sind aber die Grenzen zwischen diesen angeblichen Blöcken, zwischen Orient und Okzident, längst verwischt – wenn sie überhaupt je klar zu trennen gewesen waren. Die Identitäten von Menschen in der Schweiz sind vielfältig, eine Einteilung in «wir» versus «die» ist nicht mehr möglich. Weil wir das jedoch gesellschaftlich nicht genügend reflektieren, grenzen wir einzelne Gruppen, die eigentlich dazugehören, immer wieder aufs Neue aus.

Viele Muslim*innen sind dieses Mechanismus müde und haben gar keine Lust (und Kraft) mehr, sich in den Abwehrkampf gegen eine derart rassistische Debatte wie die um das Verhüllungsverbot einzuschalten. Viele sind täglich mit gesellschaftlichen Vorurteilen konfrontiert, müssen sich erklären, warum sie kein Schwein essen, werden angestarrt wegen des Kopftuchs oder misstrauisch beäugt beim Gang in die Moschee. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, seit wie vielen Generationen sie in der Schweiz leben, ob sie den Schweizerpass haben oder akzentfrei Dialekt reden. Für die allermeisten Muslim*innen ist der Gesichtsschleier genauso marginal wie der Nonnenhabit für Christ*innen. Doch die Art wie die öffentliche Debatte läuft, vermittelt ihnen allen immer wieder aufs Neue: Ihr gehört nicht dazu. Nur wer sich besonders laut von sichtbar als Muslimen gelesenen Menschen abgrenzt, hat vielleicht eine Chance auf Toleranz. Kein Kopftuch, keine Takke, keine Speisevorschriften.

Von wegen Religionsfreiheit.

Anhand der Mediendebatte lässt sich gut zeigen, dass die Medien auch ihren Anteil daran haben, die durch politisch rechtskonservative Kreise vorgespurte Dichotomie aus «wir» versus «die» zu vertiefen und zu festigen, anstatt eine vielstimmige und die Absichten der Initiative hinterfragende Berichterstattung zu leisten. Kaum jemand fragt: Warum wird so viel Kraft und Geld in ein derart absurd marginales Phänomen wie den Gesichtsschleier gesteckt? Welche Ängste bedient die Kampagne und warum?

So befragt die NZZ ausgerechnet die bereits mehrfach durch eine dezidiert anti-islamische Haltung aufgefallene deutsche Publizistin Alice Schwarzer zur feministischen Sicht auf die Debatte, sowie eine einzelne konvertierte Niqabträgerin, die als «Angehörige einer raren Spezies» beschrieben wird (als sei sie kein Mensch). Warum nicht stattdessen mehrere muslimische Frauen aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft zu Wort kommen lassen? Sowie zusätzlich einen Experten wie Reinhard Schulze, der die Bedeutung des Gesichtsschleiers in der muslimischen Welt und die Argumentation der Initiative fachlich und sachlich einordnen kann? Schwarzers radikale Ablehnung alles sichtbar Islamischen – sie bezeichnet im Interview nur diejenigen als «normale Muslime», die keine öffentlich sichtbaren Zeichen ihrer Religion zur Schau stellen, stösst ins gleiche Horn wie der zwei Tage zuvor ebenfalls in der NZZ erschienene Beitrag von Kacem El Gazzali, ein bekannten «Islamkritiker». Er benennt zwar den der Initiative innewohnenden Geist als rassistisch, doch nur um dies sofort wieder durch den Verweis auf einen angeblich ebenso gefährlichen «linken Kulturrelativismus» beiseite zu schieben. Neutrale oder ausgewogene Stimmen fehlen, es scheint vor allem um Sprengkraft zu gehen.

Ein ähnliches Signal sendet auch der Beitrag der Theaterautorin und ehemaligen Reporterin Gisela Widmer, der unter anderem im Tages-Anzeiger, der Basler Zeitung und dem Bund erschien. Es gehört offenbar zum Standard, dass es in Bezug auf den Islam keinerlei Vorwissen oder Expertise braucht, um darüber schreiben zu können. Wer den oben erwähnten Artikel des Zürcher Islamwissenschaftlers Schulze gelesen hat, sieht schnell, dass diese Autorin keinerlei Kenntnisse, sehr wohl aber eine starke Meinung hat. Und trotzdem werden ihre Sätze über den Gesichtsschleier als «Kutte des politischen Islam», einer Gleichstellung desselben mit Hitlergruss und Ku-Klux-Klan sowie einer vollkommen hanebüchenen Passage über den Koran, das arabische Wort «kafir» sowie dessen unrühmliche Verwendung im europäischen Sprachgebrauch vielfach reproduziert – und unwidersprochen stehengelassen. Bei welchem anderen Thema würden dieselben Medien sich dies trauen? 

Im Falle der SRF-Arena liegt eines der Probleme im Format: Die Debattensendung ist grundsätzlich nicht auf Dialog sondern Konfrontation ausgelegt. Dabei legt das SRF zwar angeblich höchsten Wert auf seine Grundregel, sich nicht mit einer Sache gemein zu machen, (auch nicht mit einer guten, wie gern betont wird), vergisst aber möglicherweise darüber, dass demokratiefeindliche Themen wie Rassismus keine Frage von Pro und Contra sind und sein dürfen. Eine Debatte zum Verhüllungsverbot bräuchte aufgrund der bekannten rassistischen Absichten der Initianten eine kritische Hinterfragung der Absichten und Ziele der Initiative, nicht ein Einsteigen auf die absurde Diskussion über angebliche Frauenrechte, ein absolut marginales Kleidungsstück und die religiösen und sonstigen Traditionen anderer Länder. Hierbei ist natürlich die Auswahl der Gesprächspartner*innen die Krux, auch weil vermutlich viele gemässigte Stimmen es längst aufgegeben haben, sich auf diese Art Diskussionen einzulassen.

Also prägt das Bild, wer am lautesten schreit. Sauer aufgestossen ist dieser Mechanismus diesmal der SRF-Moderatorin Amira Hafner-al-Jabaji, deren öffentliche Stellungnahme zum Auftritt der Verhüllungsverbotsbefürworterin Saida Keller-Messahli zu einer weiteren Schlammschlacht in den Medien führte. Diese läuft wiederum nach dem üblichen Schema «Muslimin versus Muslimin»: Als schauten «wir» nur zu, als wäre das, worum es geht, eine innerislamische Debatte, über die «wir» zufällig die Chance haben abzustimmen. Dem eigentlichen Inhalt der Kritik, nämlich dass Keller-Messahli möglicherweise überdurchschnittlich viel Raum in SRF-Berichterstattung bekommt, eben weil sie eine bestimmte, radikale Meinung vertritt, wird damit gleich wieder alle Aufmerksamkeit entzogen oder umgelenkt auf die Tatsache, dass Hafner-al-Jabaji mit ihrer Stellungnahme öffentlich ihren Arbeitgeber kritisiert hat. Das scheint offenbar der grössere Tabubruch zu sein als die Frage nach der Qualität und Ausgewogenheit der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung.

Es gibt auch Lichtblicke. In seiner lesenswerten Kolumne in der Republik beschreibt Daniel Binswanger mit einem kritischen Blick auf das Geschehen in diesem Land – und zur Abwechslung mal nicht auf «die Anderen», welch lange, unglückliche Tradition religiöse Intoleranz in der Schweiz besitzt, vom Schächtungsverbot 1893 bis heute. «Die Vollverschleierung dürfte ohnehin nur die erste Runde sein. Worum es den Islamfeindinnen letztlich gehen dürfte, ist das Kopftuch.» 

Durch jede dieser rassistischen Krawallkampagnen verschiebt die SVP den Diskursrahmen noch ein wenig weiter nach rechts, und grenzt Menschen weiter aus, die schon längst zu unserer Gesellschaft gehören. Solange wir Medienschaffenden uns davon instrumentalisieren lassen, leisten wir gewollt oder ungewollt Schützenhilfe.