Der Beobachter bringt eine Titelgeschichte zur «beispielhaften Integration» von Kosovo-Schweizerinnen – und richtet den Blick einmal mehr auf das Fremde, anstatt rassistische Strukturen zu hinterfragen.
Von Shpresa Jashari*
Etwas seltsam fällt sie aus, meine spontane Reaktion, als ich den «Beobachter» im Zeitschriftenregal der lokalen Bibliothek entdecke: Ich gehe sofort hin, greife mir das Heft und nehme es mit an meinen Platz, wo ich es erstmal auf den Tisch lege: mit dem Cover nach unten, sodass die zum Doppeladler übereinandergelegten Frauenhände auf rotem Grund, welche die Seite fast ganz ausfüllen, nicht mehr sichtbar sind. Mein Impuls, merke ich, ist eine Art schützende Geste. Ich will das Heft dem Blick der im Lesesaal Anwesenden (vor allem nicht-migrantisch gelesene Schweizer*innen im Pensionsalter) entziehen. Es verbergen. Aber warum? Wieso freue ich mich nicht einfach über das, was auch als Geste der Anerkennung und Solidarisierung gelesen werden könnte? (Wie damals, als Lichtsteiner dicht gefolgt auf Xhaka das Adlerzeichen machte.)
Was schreiben sie nun wieder über uns?
Aufbereitet unter der Schlagzeile «Aufstieg: Die beispielhafte Integration von Kosovo-Schweizerinnen», will irgendwie keine Freude über das Integrationslob aufkommen. Vielmehr macht sich einmal mehr derselbe Widerwille und dieselbe dumpfe Angst breit, die ich jedes Mal verspüre, wenn eine Bevölkerungsgruppe medial ins Visier genommen wird, die landläufig als ausländisch wahrgenommen wird. Und ich bin bestimmt nicht die Einzige, die bei solchen Medienberichten den Atem anhält, sich innerlich duckt: Was schreiben sie nun wieder über uns?
Und wie gross wird der Schaden sein, wenn das Thema wieder abgeebbt ist? Denn mediale Urteile über «uns» fällen in der Regel immer noch die anderen, die «eigentlichen» Schweizer*innen. Respektive Journalist*innen, die aus einer angeblich objektiven, schweizerischen Mehrheitsperspektive über Zugewanderte berichten. Das ist nicht allein dem*r individuellen Schreiber*in anzukreiden und nichtmal beschränkt auf Autor*innen ohne Migrationsgeschichte, sondern wohnt der rassistischen Logik selbst inne, gemäss derer wir nationale Zugehörigkeit heute noch verstehen: Wessen Herkunft irgendwie auf das (nicht-westliche) Ausland zurückgeführt werden kann, mag es zwar schaffen, irgendwann als passabel «integriert» zu gelten, wird aber nie wirklich als Schweizer*in angesehen werden. Jedenfalls so lange nicht, wie sich die Leute und Institutionen im Land diese Zugehörigkeit als etwas biologisch Gegebenes, Einheitliches vorstellen.
Meine emotionale Reaktion auf das mediale Scheinwerferlicht ist nicht persönlich. Sie ist kollektiv. Sie ist politisch. Der spontane Impuls, das Heft umzukehren, hat insofern System, als er ein Effekt dieses rassistischen Anders-gemacht-werdens ist, das die dominante Medienlandschaft seit Jahrzehnten betreibt – und damit die steigende Rechtskurve in der Politik nachzeichnet und verstärkt. Und so will ich unser politisch und medial bereits vielfach durch den Dreck gezogenes kollektives Gesicht schützen. Ich will den öffentlichen Akt der Stigmatisierung ungeschehen machen. Doch der Prozess hat sich schon zu oft wiederholt. So oft, dass mein «Medien-Immunsystem» anscheinend auch als «Good News» verkaufte Geschichten nicht mehr anders rezipieren kann als im Alarm-Modus.
Das ist allerdings nur die Hälfte der Wahrheit. Schliesslich gibt es auch positive Beispiele von «Albaner-News», die bei näherer Betrachtung aber oft der gleichen Logik folgen wie die negativen. Nur dass sie eben ausnahmsweise die «guten Albaner» zeigen. Darunter zählt der SRF-Dok von 2011 unter ebendiesem Titel noch zu den nuancierteren Stories. Hingegen gehört etwa der Bericht im «Magazin» von 2007 unter dem Titel «Ich bin jung, ich bin erfolgreich, ich bin Albaner» für mich zu den Paradebeispielen rassistischer Berichterstattung. Denn in der neoliberal getrimmten Definition, der sich Redaktor Martin Beglinger bedient, wird Erfolgreich-Sein mehr oder weniger mit Studieren gleichgesetzt. Während es kein nennenswerter Erfolg zu sein scheint, jahrzehntelang zum Mindestlohn zu malochen, um die Familie hier und im Herkunftsland durchzubringen, derweil es vonseiten des Bauführers, der Vermieterin oder den Nachrichten rassistisch auf einen niederprasselt. Ferner heisst es bei Beglinger dem Sinn nach: Erfolgreich seien Albaner*innen erst dann, wenn sie «sich integrieren». Er lässt durchblicken, dass er damit eigentlich meint: assimilieren. Sprich: sich von der (natürlich islamischen und damit potenziell islamistischen) Religion, den (natürlich rückständigen) Traditionen und den (natürlich patriarchalen) Familienstrukturen distanzieren. Man könnte auch sagen: So richtig gut sind Albaner eigentlich nur, wenn sie der albanischen Kultur abgeschworen haben, oder sie nur moderat praktizieren, in Form von kulinarischen Spezialitäten und Ferienerinnerungen. Am besten aber sind sie, wenn sie Frauen sind. Diese Story schreibt sich dann quasi von selbst: Muslimin, Opfer des orientalischen Patriarchats, gerettet per Eingliederung in die geschlechtergerechte Schweiz!
Das Wie ist wichtig.
Im «Beobachter»-Bericht liegt der Fokus gleich ganz auf den Frauen. Und ich musste sofort an all dies denken, als ich diesen erstmals in Posts von albanischen Bekannten in den sozialen Netzwerken entdeckte. Ich teile die Freude an den inspirierenden, von Tanja Polli porträtierten Frauen, die in diesen Posts zum Ausdruck kam, genauso wie ich den Stolz auf deren Intelligenz, Engagement und Durchhaltevermögen teile. Und genauso wie beim «Magazin»-Artikel damals kenne und schätze ich einige der Porträtierten auch persönlich: als Vorbilder, Mitstreiterinnen, Freundinnen. Unbedingt soll die Schweiz vom erstaunlichen Aufstieg dieser Menschen erfahren, ihre Geschichten hören, ihre Gesichter kennen! Aber das Wie ist wichtig.
Nun folgt der «Beobachter»-Beitrag nicht der starren Erfolgsrezept-Logik von Beglinger. Die Argumentation ist weniger ideologisch zugespitzt, Pollis Porträts können etwas atmen, wenn man so will. Und doch liegt dem Text ein ähnliches Muster zu Grunde. Die Reflexion von strukturellem Rassismus wie bezeichnenderweise auch der Begriff selbst fehlen. Als schwacher Platzhalter dafür muss der Ausdruck «Vorurteile» herhalten: «Gegen Vorurteile und Machokultur: Wie sich Kosovarinnen in der Schweiz behaupten – und Erfolg haben», lautet der Lead. Aber reichen «Vorurteile» als Erklärung dafür aus, dass eine der Porträtierten, die Politikerin Qëndresa Hoxha-Sadriu, die eine gute Schülerin war, fast 300 Bewerbungen versenden musste, bis sie endlich eine Lehrstelle erhielt? Erlaubt der Begriff es Leser*innen, die keine Diskriminierungserfahrungen haben, die Bedeutung dessen zu erfassen? Mir erscheint das ein bisschen wie narratives Beigemüse, das zwar den Aufstieg der Heldin aus widrigen Umständen unterstreichen soll, nicht aber auf diese eingehen möchte. Schwierig sei es, in der Schweiz heimisch zu werden. Das kommt immerhin mehrmals im Text vor. Aber da hört es auch schon auf. Denn der Fokus der Autorin liegt nicht auf der strukturellen Diskriminierung, welcher ihre Protagonistinnen trotzen mussten, um sich bilden und Karriere machen zu können.
Ich will Feminismus, aber nicht im Tausch gegen Rassismus.
Vielmehr hat Polli persönliche Fragen an die Kosovo-Schweizer*innen: über deren Elternhaus, das Thema Heirat, wie überhaupt all das «Fremdartige», das sie von Schweizer*innen unterscheiden könnte, deren Nennung ohne Bindestrich auskommt. Es zeichnet sich ab, dass hier vor allem die zweite Front interessiert, an der die porträtierten Frauen kämpfen mussten: die Familie. Womit die Autorin einen in vielerlei Hinsicht komplexen, schmerzhaften und tiefgehenden intergenerationellen Emanzipationskampf anspricht, den sie aber banal unter das wiederum rassistische Schlagwort «Machokultur» stellt. Damit bewegt sich der Beitrag auf der aktuellen, viel besprochenen westlichen Feminismus-Welle, allerdings an deren Oberfläche. Denn er blickt voyeuristisch auf weibliche Emanzipationsgeschichten, durch eine kulturalistische Brille. Solidarisierung zwischen Frauen sieht anders aus, zumindest aus der komplexen intersektionellen Perspektive von «Bindestrich-Menschen» wie mir. Ich will Feminismus, aber nicht im Tausch gegen Rassismus.
Die Autorin Shqipe Sylejmani, eine waschechte Selfmadewoman, weist im Interview mit Polli auf etwas Ähnliches hin, wenn sie sagt, dass Frauen es leid sind, sich zurückzunehmen – und damit nicht nur Migrantinnen meint. Das ist wichtig. Aber kommt diese Botschaft auch bei den Leserinnen, etwa den Pensionär*innen in meiner Bibliothek, an? Besteht sie gegen die Dekaden von Politpropaganda und Medienberichterstattung, wo Kosovaren (diesmal ohne *innen) als Zerrbilder schlitzen und rasen und sich partout nicht integrieren wollen? Ich fürchte, was sie mitnehmen werden aus diesem gut gemeinten Beitrag, könnte etwas doppelköpfig ausfallen: dass «gute Albanerinnen» es in der Schweiz trotz ihrer kulturellen und familiären Herkunft schaffen, und nicht trotz des hiesigen Rassismus.
Also bei mir war das irgendwie anders. Dass ich heute in der Position bin, diese Zeilen zu schreiben, habe ich wesentlich meinen albanischen, muslimischen Eltern zu verdanken. Der Tatsache, dass sie durchhielten in ihren schweren, prestigelosen Jobs hier – für uns Kinder. Der Tatsache, dass sie intervenierten, als es etwa seitens der Schule hiess: Lieber eine gute Realschülerin als eine schlechte Sekschülerin. Der Tatsache, dass sie gut sind und erfolgreich.
Ich schlage das Heft wieder zu und lege es an seinen Platz zurück. Mal sehen, was für Wellen er schlägt, dieser Beitrag.
*Shpresa Jashari ist Sprach- und Sozialwissenschaftlerin. Sie hat einen PhD in transnationalen Studien von der Uni Neuchâtel und forscht zu Albanisch-Deutscher Mehrsprachigkeit, Sprachideologie und Sozialer Teilhabe.
Der Beobachter bringt eine Titelgeschichte zur «beispielhaften Integration» von Kosovo-Schweizerinnen – und richtet den Blick einmal mehr auf das Fremde, anstatt rassistische Strukturen zu hinterfragen.
Von Shpresa Jashari*
Etwas seltsam fällt sie aus, meine spontane Reaktion, als ich den «Beobachter» im Zeitschriftenregal der lokalen Bibliothek entdecke: Ich gehe sofort hin, greife mir das Heft und nehme es mit an meinen Platz, wo ich es erstmal auf den Tisch lege: mit dem Cover nach unten, sodass die zum Doppeladler übereinandergelegten Frauenhände auf rotem Grund, welche die Seite fast ganz ausfüllen, nicht mehr sichtbar sind. Mein Impuls, merke ich, ist eine Art schützende Geste. Ich will das Heft dem Blick der im Lesesaal Anwesenden (vor allem nicht-migrantisch gelesene Schweizer*innen im Pensionsalter) entziehen. Es verbergen. Aber warum? Wieso freue ich mich nicht einfach über das, was auch als Geste der Anerkennung und Solidarisierung gelesen werden könnte? (Wie damals, als Lichtsteiner dicht gefolgt auf Xhaka das Adlerzeichen machte.)
Aufbereitet unter der Schlagzeile «Aufstieg: Die beispielhafte Integration von Kosovo-Schweizerinnen», will irgendwie keine Freude über das Integrationslob aufkommen. Vielmehr macht sich einmal mehr derselbe Widerwille und dieselbe dumpfe Angst breit, die ich jedes Mal verspüre, wenn eine Bevölkerungsgruppe medial ins Visier genommen wird, die landläufig als ausländisch wahrgenommen wird. Und ich bin bestimmt nicht die Einzige, die bei solchen Medienberichten den Atem anhält, sich innerlich duckt: Was schreiben sie nun wieder über uns?
Und wie gross wird der Schaden sein, wenn das Thema wieder abgeebbt ist? Denn mediale Urteile über «uns» fällen in der Regel immer noch die anderen, die «eigentlichen» Schweizer*innen. Respektive Journalist*innen, die aus einer angeblich objektiven, schweizerischen Mehrheitsperspektive über Zugewanderte berichten. Das ist nicht allein dem*r individuellen Schreiber*in anzukreiden und nichtmal beschränkt auf Autor*innen ohne Migrationsgeschichte, sondern wohnt der rassistischen Logik selbst inne, gemäss derer wir nationale Zugehörigkeit heute noch verstehen: Wessen Herkunft irgendwie auf das (nicht-westliche) Ausland zurückgeführt werden kann, mag es zwar schaffen, irgendwann als passabel «integriert» zu gelten, wird aber nie wirklich als Schweizer*in angesehen werden. Jedenfalls so lange nicht, wie sich die Leute und Institutionen im Land diese Zugehörigkeit als etwas biologisch Gegebenes, Einheitliches vorstellen.
Meine emotionale Reaktion auf das mediale Scheinwerferlicht ist nicht persönlich. Sie ist kollektiv. Sie ist politisch. Der spontane Impuls, das Heft umzukehren, hat insofern System, als er ein Effekt dieses rassistischen Anders-gemacht-werdens ist, das die dominante Medienlandschaft seit Jahrzehnten betreibt – und damit die steigende Rechtskurve in der Politik nachzeichnet und verstärkt. Und so will ich unser politisch und medial bereits vielfach durch den Dreck gezogenes kollektives Gesicht schützen. Ich will den öffentlichen Akt der Stigmatisierung ungeschehen machen. Doch der Prozess hat sich schon zu oft wiederholt. So oft, dass mein «Medien-Immunsystem» anscheinend auch als «Good News» verkaufte Geschichten nicht mehr anders rezipieren kann als im Alarm-Modus.
Das ist allerdings nur die Hälfte der Wahrheit. Schliesslich gibt es auch positive Beispiele von «Albaner-News», die bei näherer Betrachtung aber oft der gleichen Logik folgen wie die negativen. Nur dass sie eben ausnahmsweise die «guten Albaner» zeigen. Darunter zählt der SRF-Dok von 2011 unter ebendiesem Titel noch zu den nuancierteren Stories. Hingegen gehört etwa der Bericht im «Magazin» von 2007 unter dem Titel «Ich bin jung, ich bin erfolgreich, ich bin Albaner» für mich zu den Paradebeispielen rassistischer Berichterstattung. Denn in der neoliberal getrimmten Definition, der sich Redaktor Martin Beglinger bedient, wird Erfolgreich-Sein mehr oder weniger mit Studieren gleichgesetzt. Während es kein nennenswerter Erfolg zu sein scheint, jahrzehntelang zum Mindestlohn zu malochen, um die Familie hier und im Herkunftsland durchzubringen, derweil es vonseiten des Bauführers, der Vermieterin oder den Nachrichten rassistisch auf einen niederprasselt. Ferner heisst es bei Beglinger dem Sinn nach: Erfolgreich seien Albaner*innen erst dann, wenn sie «sich integrieren». Er lässt durchblicken, dass er damit eigentlich meint: assimilieren. Sprich: sich von der (natürlich islamischen und damit potenziell islamistischen) Religion, den (natürlich rückständigen) Traditionen und den (natürlich patriarchalen) Familienstrukturen distanzieren. Man könnte auch sagen: So richtig gut sind Albaner eigentlich nur, wenn sie der albanischen Kultur abgeschworen haben, oder sie nur moderat praktizieren, in Form von kulinarischen Spezialitäten und Ferienerinnerungen. Am besten aber sind sie, wenn sie Frauen sind. Diese Story schreibt sich dann quasi von selbst: Muslimin, Opfer des orientalischen Patriarchats, gerettet per Eingliederung in die geschlechtergerechte Schweiz!
Im «Beobachter»-Bericht liegt der Fokus gleich ganz auf den Frauen. Und ich musste sofort an all dies denken, als ich diesen erstmals in Posts von albanischen Bekannten in den sozialen Netzwerken entdeckte. Ich teile die Freude an den inspirierenden, von Tanja Polli porträtierten Frauen, die in diesen Posts zum Ausdruck kam, genauso wie ich den Stolz auf deren Intelligenz, Engagement und Durchhaltevermögen teile. Und genauso wie beim «Magazin»-Artikel damals kenne und schätze ich einige der Porträtierten auch persönlich: als Vorbilder, Mitstreiterinnen, Freundinnen. Unbedingt soll die Schweiz vom erstaunlichen Aufstieg dieser Menschen erfahren, ihre Geschichten hören, ihre Gesichter kennen! Aber das Wie ist wichtig.
Nun folgt der «Beobachter»-Beitrag nicht der starren Erfolgsrezept-Logik von Beglinger. Die Argumentation ist weniger ideologisch zugespitzt, Pollis Porträts können etwas atmen, wenn man so will. Und doch liegt dem Text ein ähnliches Muster zu Grunde. Die Reflexion von strukturellem Rassismus wie bezeichnenderweise auch der Begriff selbst fehlen. Als schwacher Platzhalter dafür muss der Ausdruck «Vorurteile» herhalten: «Gegen Vorurteile und Machokultur: Wie sich Kosovarinnen in der Schweiz behaupten – und Erfolg haben», lautet der Lead. Aber reichen «Vorurteile» als Erklärung dafür aus, dass eine der Porträtierten, die Politikerin Qëndresa Hoxha-Sadriu, die eine gute Schülerin war, fast 300 Bewerbungen versenden musste, bis sie endlich eine Lehrstelle erhielt? Erlaubt der Begriff es Leser*innen, die keine Diskriminierungserfahrungen haben, die Bedeutung dessen zu erfassen? Mir erscheint das ein bisschen wie narratives Beigemüse, das zwar den Aufstieg der Heldin aus widrigen Umständen unterstreichen soll, nicht aber auf diese eingehen möchte. Schwierig sei es, in der Schweiz heimisch zu werden. Das kommt immerhin mehrmals im Text vor. Aber da hört es auch schon auf. Denn der Fokus der Autorin liegt nicht auf der strukturellen Diskriminierung, welcher ihre Protagonistinnen trotzen mussten, um sich bilden und Karriere machen zu können.
Vielmehr hat Polli persönliche Fragen an die Kosovo-Schweizer*innen: über deren Elternhaus, das Thema Heirat, wie überhaupt all das «Fremdartige», das sie von Schweizer*innen unterscheiden könnte, deren Nennung ohne Bindestrich auskommt. Es zeichnet sich ab, dass hier vor allem die zweite Front interessiert, an der die porträtierten Frauen kämpfen mussten: die Familie. Womit die Autorin einen in vielerlei Hinsicht komplexen, schmerzhaften und tiefgehenden intergenerationellen Emanzipationskampf anspricht, den sie aber banal unter das wiederum rassistische Schlagwort «Machokultur» stellt. Damit bewegt sich der Beitrag auf der aktuellen, viel besprochenen westlichen Feminismus-Welle, allerdings an deren Oberfläche. Denn er blickt voyeuristisch auf weibliche Emanzipationsgeschichten, durch eine kulturalistische Brille. Solidarisierung zwischen Frauen sieht anders aus, zumindest aus der komplexen intersektionellen Perspektive von «Bindestrich-Menschen» wie mir. Ich will Feminismus, aber nicht im Tausch gegen Rassismus.
Die Autorin Shqipe Sylejmani, eine waschechte Selfmadewoman, weist im Interview mit Polli auf etwas Ähnliches hin, wenn sie sagt, dass Frauen es leid sind, sich zurückzunehmen – und damit nicht nur Migrantinnen meint. Das ist wichtig. Aber kommt diese Botschaft auch bei den Leserinnen, etwa den Pensionär*innen in meiner Bibliothek, an? Besteht sie gegen die Dekaden von Politpropaganda und Medienberichterstattung, wo Kosovaren (diesmal ohne *innen) als Zerrbilder schlitzen und rasen und sich partout nicht integrieren wollen? Ich fürchte, was sie mitnehmen werden aus diesem gut gemeinten Beitrag, könnte etwas doppelköpfig ausfallen: dass «gute Albanerinnen» es in der Schweiz trotz ihrer kulturellen und familiären Herkunft schaffen, und nicht trotz des hiesigen Rassismus.
Also bei mir war das irgendwie anders. Dass ich heute in der Position bin, diese Zeilen zu schreiben, habe ich wesentlich meinen albanischen, muslimischen Eltern zu verdanken. Der Tatsache, dass sie durchhielten in ihren schweren, prestigelosen Jobs hier – für uns Kinder. Der Tatsache, dass sie intervenierten, als es etwa seitens der Schule hiess: Lieber eine gute Realschülerin als eine schlechte Sekschülerin. Der Tatsache, dass sie gut sind und erfolgreich.
Ich schlage das Heft wieder zu und lege es an seinen Platz zurück. Mal sehen, was für Wellen er schlägt, dieser Beitrag.
*Shpresa Jashari ist Sprach- und Sozialwissenschaftlerin. Sie hat einen PhD in transnationalen Studien von der Uni Neuchâtel und forscht zu Albanisch-Deutscher Mehrsprachigkeit, Sprachideologie und Sozialer Teilhabe.