Diversität – weggespart

Medien sparen, sparen, sparen, und sollen doch diverser werden. Sie sollten vor allem Menschen mit einer Migrationsgeschichte den Zugang zu den Redaktionen erleichtern, und auch: die Qualität der Berichterstattung verbessern, gerade auch mit Blick auf eine diversitäts- und migrationsgerechte Sprache. Aber Sparfuchs und Diversity gehen nicht zusammen.

Von Christoph Keller

Kürzlich erhielten wir die Anfrage eines Abteilungsleiters in einem grossen Schweizer Medienkonzerns. Er wolle gerne mit uns, den NCHM*, darüber sprechen, wie Menschen mit einer Migrationsgeschichte in seinem Konzern gefördert, inkludiert werden, und wie sein Unternehmen besser über migrantische Themen berichten könnte. Tolle Initiative, wir haben uns über die Kontaktaufnahme gefreut. Allerdings hat der Kollege das Problem, dass in den Redaktionen, die er zu verantworten hat, der Sparfuchs umgeht. Der Sparfuchs geht eigentlich zur Zeit in allen Redaktionen um, in der NZZ, wo die Wirtschaftsredaktionen von NZZaS und der NZZ zusammengelegt wurden, über den Tages-Anzeiger, der Sparrunde um Sparrunde hinlegt, hin zu allen Medien von CHMedia, und die SRG hat eben gerade bekanntgegeben, in den nächsten Jahren 250 Stellen zu streichen.

Stellen streichen, den Arbeitsdruck erhöhen, weniger Recherchezeit, weniger Diskussionen, weniger Reflexion; und gleichzeitig muss dringend das Postulat einer diverseren, integrativeren Medienlandschaft umgesetzt werden, eine inklusive, diversitätsgerechte Berichterstattung und Redaktionen, die ein Spiegel und ein Ausdruck sind der diversen, vielgestaltigen Schweiz. Einer Schweiz, in der beinahe die Hälfte der Bevölkerung eine Migrationsgeschichte haben, in der sich über ein Drittel als Secondas oder Secondos bezeichnen, in der sich die Erkenntnis durchsetzt, dass Medien die Diversität abbilden und reflektieren sollten (auch die Genderdiversität, die Altersdiversität, die soziale Diversität und alle anderen Diversitäten).

Diversität herstellen und gleichzeitig Sparen, das geht nicht. Denn Diversität stellt sich nicht einfach her, sie kommt auch nicht dadurch zustande, dass man Absichtserklärungen in Redaktionsstatute oder in Konzessionen einschreibt («Die SRG berücksichtigt in ihren Angeboten Menschen mit Migrationshintergrund und vermittelt integrative Inhalte», heisst es etwa in der Konzession für die SRG), sondern die Herstellung von Diversität (in den Redaktionen, in der Berichterstattung) bedeutet vor allem einmal Aufwand und viel Arbeit.

Denn es geht darum, in den über Jahrzehnten verfestigten Strukturen des Medienbetriebs, die sich sowohl personell wie in der Berichterstattung an die Werthaltungen der Mehrheitsgesellschaft orientieren, Veränderungen in drei Schritten zu vollziehen: (a) durch Sensibilisierung der Redaktorinnen und Journalisten über die bestehenden, wenig diversen Strukturen und Haltungen, (b) durch Wissensvermittlung darüber, was ein diverser, die Vielfalt der Gesellschaft repräsentierender Journalismus sein könnte und (c) durch konkrete Massnahmen, nämlich den gezielten Einbezug migrantischer Kolleg*innen (und anderer Vertreter*innen einer diversen Gesellschaft), und eine stete Arbeit an der Berichterstattung im Sinne von Inklusion, Anerkennung und Respekt.

Ohne Arbeit an der Diversität gibt es keine inkludierende Berichterstattung.

Mensch kann es nicht oft genug sagen: Arbeit an der Diversität in Medienhäusern ist nicht ein «nice-to-have» Projekt, und schon gar nicht: eine Option. Sie ist eine Notwendigkeit, wenn Medien heute in Anspruch nehmen wollen, die Gesellschaft insgesamt zu repräsentieren, und ohne Arbeit an der Diversität gibt es keine inkludierende Berichterstattung. Medien müssen sich heute bewusst werden, dass sie, wie andere Institutionen der Gesellschaft auch, Träger sind eines «rassistischen Wissens», wie das der Soziologe Mark Terkessidis formulierte, einer Wertehaltung, die Diskriminierungen produziert und auch reproduziert; deshalb, so Mark Terkessidis in seinem Buch «Interkultur», seien Institutionen aufgerufen, sich aktiv für alle Kreise der Gesellschaft zu öffnen, insbesondere auch für die Migrationsgesellschaft. Ein Aufruf, der einen Imperativ beinhaltet, denn die Herstellung von Diversität ist, so der Managementtheoretiker David Clutterbuck, «ein Mittel, um Ungerechtigkeit zu überwinden». Diversität ist also ein Postulat der Menschenrechte, aber Menschenrechte, das wissen wir aus historischer Erfahrung, müssen immer wieder erarbeitet, müssen erkämpft werden.

Wer nur einmal an einer Redaktionssitzung ernsthaft darüber diskutiert hat, welche Protagonist*innen in einer Geschichte oder in einer Sendung eine Rolle spielen sollen, weiss, wie gross der Aufwand ist, verschiedene Migrationsgeschichten, verschiedene Gender, unterschiedliche Alter, Vertreter*innen aus unterschiedlichen Schichten aufzutreiben, ihnen eine Chance zum Reden zu geben; tatsächlich ist es einfacher, auf die üblichen weissen, alten Herren zurückzugreifen. Und ebenso viel Arbeit steckt in der Etablierung einer redaktionellen Kritikkultur, bei der auf Fragen nach der Diversität, der integrativen Sprache, der Haltung eingegangen wird – nicht beiläufig, sondern auf den Kern der Sache zielend; viel leichter ist es tatsächlich, die hegemoniale Sprache nicht zu hinterfragen.

Es gibt kaum Medien, die diese Fragen offen und offensiv angehen, und in einer Zeit, in der Redaktionen nicht wissen, ob sie in drei Monaten noch existieren, ist nicht zu erwarten, dass sich das bessert, im Gegenteil.

Spardruck führt zu Konformität, zur Anpassung an die Paradigmen der dominierenden Mehrheitsgesellschaft; im Spardruck haben es diejenigen, die etwas verändern wollen, besonders schwer, es ist nicht die Zeit, um aufmüpfig und kritisch zu sein. Und kein Medienhaus, das den Sparteufel in die Redaktionen schickt, wird gleichzeitig Ressourcen bereitstellen, um die notwendigen Veränderungen in Richtung Diversität voranzutreiben, im Gegenteil – wer will sich unter Spardruck noch um die diverse Zusammensetzung von Redaktionen kümmern, wer will ein Budget für ausführliche Kritik sprechen, wer lässt da Texte und Sendungen neu schreiben, weil sie den Postulat der Diversität nicht genügen?

«Diversität hat mit einer authentischen Haltung zu tun, und wenn eine Organisation nicht authentisch ist, werden es Kunden und Angestellte merken, und sich abwenden.»

Glenn Llopis

Am Ende haben wir zusammengesparte Redaktionen, die weiterhin so schreiben und arbeiten wie heute, als gäbe es den Drittel der Gesellschaft mit einer Migrationsgeschichte nicht (und alle anderen, diversen Teile der Gesellschaft auch nicht). Da und dort ein Portrait einer «Migrantin», hier eine Reportage über eine «Parallelgesellschaft», einmal die Einladung an eine «ausländische» Schriftstellerin – das wird es wohl weiterhin geben. Aber diejenigen, die es angeht, werden merken, dass sie hier Opfer eines «Othering» sind, jenes fatalen Mechanismus, mit der sich die Mehrheitsgesellschaft sich selber versichert, indem sie andere ausgrenzt, zu «anderen macht» selbst dann, wenn sie mit bester Absicht über sie berichtet. Diversität, schreibt der Publizist Glenn Llopis, hat mit einer «authentischen Haltung» zu tun, und wenn eine Organisation nicht authentisch ist, werden es Kunden und Angestellte merken, und sich abwenden.

Auf die Medien übertragen heisst das: Es ist nicht gesagt, dass die Medienhäuser mit dem Sparkurs wieder profitabel gemacht werden können (das steht auf einem anderen Blatt). Aber es ist sicher, dass sie immer weiter davon entfernt sind, die ganze Gesellschaft zu repräsentieren. Und damit all jene verlieren, die es angeht.