Wenn Ahmet Sturm bringt

Tiefdruckgebiete bringen Regen, Hochdruckzonen lassen die Sonne lachen. Und seit Jahrzehnten tragen Wettersysteme nur deutsche Namen, heissen «Anton» oder «Hermine». Damit ist nun Schluss – im neuen Jahr wird das Wetter migrantisch.

Von Christoph Keller

Manchmal sehen wir sie auf Wetterkarten, die Namen der Tiefdruckgebiete, alphabetisch geordnet. Dann und wann werden sie sogar beim Wetterbericht genannt, wenn sie besonders kräftig sind. Dann heisst es, dass «die Tiefs Detlef, Bruno, Ferdinand, Günther, Heiner und Ingmar» Sturm und Regen bringen, oder dass das Hoch «Gabi» in diesem Sommer besonders ausgeprägt sei.

Wir sind daran gewöhnt, dass die Wettersysteme im deutschsprachigen Raum deutsche Namen tragen, oder zumindest: nordische. Die Namen werden durch sogenannte Wetterpatenschaften bestimmt, die von Einzelpersonen oder auch Organisationen gekauft werden können; 2021 gilt die Regel, dass die Hochs beim Deutschen Wetterdienst weibliche Namen tragen, die Tiefs männliche. Es sind die Detlefs aus Erlangen, die Günthers aus Brombach und die Gabis aus Unterengstringen, die sich in Wettersystemen zumindest für kurze Zeit verewigt sehen möchten.

Nun sollen auch mal andere zum Zug kommen. Namen, die unsere Gegenwart genauso bestimmen wie Gabi und Bruno. Deshalb tragen die ersten vierzehn heranziehenden Wetterphänomene des Jahres 2021 Namen mit Migrationsgeschichte. Das erste Tief wird «Ahmet» heissen, das zweite «Bartosz», bei den Hochs folgen «Bozena» und «Chana» aufeinander. Und um die richtige Aussprache zu sichern, hat das Institut für Meteorologie in Berlin, das für den deutschen Sprachraum die Namen der Tiefs und Hochs verwaltet, entsprechende Hilfsangaben hinter die Namen gesetzt: «Dragica (gespr. Dragiza)» oder «Flaviu (gespr. Flawiu)».

Das kam nicht einfach so, sondern wurde organisiert durch eine internationale Wetter-Allianz aus den Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), den Neuen Schweizer Medienmacher*innen (NCHM*) sowie Kolleg*innen aus Österreich. Die Aktion trägt den Namen #wetterberichtigung. Konzipiert wurde die Idee vom Kreativteam Goran Golik und Alexander Trybus sowie der Agentur Ketchum Publico Österreich.

Symbolische Aktionen wie #Wetterberichtigung lenken die Aufmerksamkeit auf einen blinden Fleck in den Medien: darauf, wie wir als Journalist*innen die Vielfalt in der Bevölkerung abbilden. Namen, das ist unsere Überzeugung, sind mehr als nur Zeichen, und das Fehlen von bestimmten Namen bedeutet viel – auch, wenn es «nur» um Wetterphänomene geht. Tatsächlich ist nicht einsichtig, warum Tiefs und Hochs bisher nur «Willi» oder «Johanna» hiessen, wenn doch in der meteorologisch überaus interessierten Schweiz 38 Prozent eine Migrationsgeschichte haben, in Deutschland sind es rund 26 Prozent. In Österreich machen Menschen mit Migrationsgeschichte rund 23 Prozent der Bevölkerung aus.  

Ganz offensichtlich sind sie nicht nur im Wetter, sondern auch in vielen anderen Sektoren zu wenig repräsentiert, in der Politik, der Verwaltung, in Führungspositionen. Sie fehlen vor allem auch in den Medien.

In deutschen Medien liegt der Anteil an Journalist*innen mit Migrationsgeschichte bei schätzungsweise 5 bis 10 Prozent; in Schweizer Medien ist der Anteil, so erste vorläufige Schätzungen, noch weit geringer. Das ist undemokratisch. Und weil wir der Überzeugung sind, dass mehr Vielfalt nicht einfach so entsteht, braucht es Förderung. Zum Beispiel Checklisten auf den Redaktionen, die schon bei der Planung jeden Beitrags die Journalist*innen verpflichten, Fragen nach Diversität zu klären, oder selbstverpflichtende Quoten mit klaren Zielvorgaben. Und das gilt nicht nur für Menschen mit Migrationsgeschichte, sondern auch für Menschen mit einer Behinderung, für Transpersonen, für Nicht-Akademiker*innen und so weiter.

Das Personal der Medienhäuser sowie die dort produzierten Inhalte müssen die Gesellschaft repräsentieren, in der wir leben. Und darin heissen schon lange nicht mehr alle Bruno, Gabi und Urs, sondern eben auch Dragica, Flaviu und Ahmet. Deshalb fordern wir, ähnlich wie die Neuen deutschen Medienmacher*innen und die Kolleg*innen aus Österreich, dass sich die Medienhäuser personell diversifizieren und Mechanismen entwickeln, wie Diversität bei der Produktion von Inhalten von vornherein mitgedacht und umgesetzt wird.