Von der BAZ über Aeschi in die «Arena»

Ein Artikel in der «Basler Zeitung» suggeriert einen Zusammenhang zwischen Nationalität und Bettenbelegung auf Intensivstationen – ohne einen einzigen Beleg. Damit werden Ressentiments geschürt und Menschen mit Migrationsgeschichte pauschal diffamiert. 

Von Anna Jikhareva 

Die Schlagzeile ist auf den ersten Blick brisant: «70 Prozent Migranten in den Spitalbetten», titelt die «Basler Zeitung» (BAZ) am vergangenen Mittwoch. Doch wer im dazugehörigen Text nach Belegen für die Behauptung sucht, wird nicht fündig. Stattdessen wartet der Text mit Mutmassungen auf und schürt rassistische Ressentiments gegen Menschen mit Migrationsgeschichte, indem er zwischen dem «Fremden» und dem Virus einen direkten Zusammenhang herstellt. 

Als erstes kommt in der BAZ der Baselbieter SVP-Präsident Dominik Straumann zu Wort, der «über die Feuerwehr diverse Informationskanäle in die Führungsstäbe hat» und die steigenden Covid-19-Infektionszahlen im Herbst «auf eine Kumulation unter Balkanrückkehrern» zurückführt. Damit suggeriert Straumann, dass Menschen, die im Sommer ihre Verwandten auf dem Balkan besuchten – als Ausländer*innen gelesene Menschen also – das Coronavirus in die Schweiz einschleppten. Belege für diese Behauptung liefert er nicht.

Als zweites wird die Baselbieter Gesundheitsdirektion unter SVP-Regierungsrat Thomas Weber zitiert, die zwar auch keine Zahlen präsentieren kann, aber dennoch davon ausgeht, «dass circa 40 Prozent der Neuansteckungen Menschen mit fremdsprachigem Hintergrund oder einem entsprechenden Umfeld» betreffen. Weil BAZ-Autor Daniel Wahl diese Zahl aber als «zu tiefgestapelt» empfindet, folgt eine Pflegerin als Zeugin der Anklage, die «aus Angst vor beruflichen Konsequenzen» anonym bleiben will. Sie ist sich indes sicher: Auf den Basler Intensivstationen befänden sich «primär Menschen aus dem Osten». Dass es keine offiziellen Zahlen gibt, bestätigt zwar auch sie, doch werde «auf den Spitalgängen darüber geredet». 

Die unbelegten Aussagen zweier SVP-Politikerin und einer anonymen Pflegerin führen im Text umgehend zur empörten Reaktion eines weiteren SVPlers. Es könne nicht sein, «dass Intensivbetten und Beatmungsplätze überproportional von Personen mit Migrationshintergrund belegt sind», sagt Landrat Hanspeter Weibel. 

Der Artikel diffamiert aber nicht nur eine Bevölkerungsgruppe, er liefert der SVP auch die Stichworte für ihre rassistische Politik.

Spätestens an diesem Punkt ist die Meinung gemacht. Da hilft es auch nichts mehr, dass der Spitalsprecher die Zahl aus dem Titel entschieden dementiert, weil die Spitäler gar keine Daten über Nationalität oder Migrationsgeschichte von Patient*innen erheben. Was hängenbleibt ist die faktenfreie Unterstellung, Migrant*innen seien undiszipliniert, hielten sich in der Schweiz nicht an die Regeln oder schleppten das Virus aus dem Ausland ein. Durch ihre Corona-Ansteckung nehmen sie, so der Tenor, den «richtigen Schweizer*innen» dann auch noch die ohnehin schon knappen Spitalplätze weg. 

Der Artikel diffamiert aber nicht nur eine Bevölkerungsgruppe, er liefert der SVP auch die Stichworte für ihre rassistische Politik: Noch am gleichen Tag bringt Fraktionschef Thomas Aeschi das Thema im Bundeshaus aufs Tapet – nach einem empörten Tweet reicht er (unter Bezugnahme auf den BAZ-Artikel) einen Vorstoss ein: Der Bundesrat solle prüfen, inwiefern «Corona-Heimkehrer aus dem Balkan und Wirtschaftsmigranten aus Afrika und arabischen Ländern» die Spitalbetten besetzten. Zudem will Aeschi die Ansteckungen nach Aufenthaltsstatus aufschlüsseln – um herauszufinden, «ob Ausländer, die wissen, wie gut das Schweizer Gesundheitssystem ist, extra in die Schweiz kommen und dann hier krank werden», wie er in einem Interview sagte. 

Thema ist der angebliche Zusammenhang zwischen Nationalität und der Belegung von Intensivbetten zur gleichen Zeit auch im Nachbarland: So behauptet der österreichische Kanzler Sebastian Kurz, dass «Menschen mit Wurzeln am Balkan und in der Türkei» das Virus eingeschleppt hätten. Doch während Kurz von einem ORF-Moderator mit kritischen Fragen entlarvt wird, wird Thomas Aeschi für seine rassistischen Aussagen auch noch mit einer Einladung in die SRF-«Arena» belohnt. 

Mit Schlagzeilen wie jener der BAZ und Politikern, die empirisch nicht belegte Behauptungen weiterverbreiten und daraus Vorstösse ableiten, wird eine ganze Gruppe zu Sündenböcken gemacht. Was dabei untergeht, ist eine Verbindung, für die in der Schweiz zwar Zahlen fehlen, auf die Untersuchungen in anderen Ländern aber schliessen lassen: dass Menschen mit Migrationsgeschichte tatsächlich einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Doch statt einem «ethnischen» steckt dahinter ein sozioökonomisches Problem. 

Diese Menschen arbeiten überdurchschnittlich oft in Berufen, die als besonders exponiert gelten und in denen Home-Office nicht möglich ist: auf Baustellen, in Restaurantküchen oder an Supermarktkassen, in der Spitalpflege und der Reinigung. Gerade die Spitäler – und damit auch jene Intensivstationen, auf denen Covid-19-Patient*innen liegen – könnten ohne migrantische Arbeit gar nicht aufrechterhalten werden. Diese Menschen haben zudem – wie Geflüchtete in den Asylzentren, Sans-papiers und andere marginalisierte Gruppen – kein Haus mit Garten, in dem Abstandsregeln und Hygienemassnahmen problemlos einzuhalten sind. Auf diesen Zusammenhang zwischen prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen und Corona-Infektionen geht der BAZ-Artikel allerdings mit keinem Wort ein.