«Dem Mainstream etwas entgegensetzen»

Ein Zusammenschluss antirassistischer Initiativen bringt ein neues Talk-Format ins Netz: Bei «We Talk. Schweiz ungefiltert» sind Menschen mit Migrationsgeschichte Gäste, Ideengeber*innen und Produzent*innen.

Von Sara Winter Sayilir

Sich das Land selbstbewusst aneignen – zum Beispiel mit einer eigenen Talksendung. Foto: raumsinn

«Die Idee entstand im Sommer im Nachgang der Black-Lives-Matter-Proteste und der Diskussionen um die «Überfremdungsinitiative» von James Schwarzenbach vor fünfzig Jahren», sagt Tarek Naguib, einer der Köpfe hinter dem neuen Talk-Projekt «We Talk. Schweiz ungefiltert», dessen erste Folge diesen Mittwoch online geht. In der «Talksendung mit Migrationsvorsprung» sollen Menschen mit Rassismuserfahrung miteinander ins Gespräch kommen. In der ersten Runde, aufgenommen im Palace St. Gallen, sind das der Historiker Cenk Akdoğanbulut, die Juristin Lejla Medii, die Black-Lives-Matter-Aktivistin Samantha Wanjiru und die Präsidentin der Stadt St. Gallen Maria Pappa. Mit den Erfahrungen verschiedener Generationen tauschen sie sich über Rassismus und Widerstandsformen in der Schweiz aus.

Hinter «We Talk» stecken Mitglieder der Initiative Berner Rassismusstammtischs, des Kollektivs Ostwind St. Gallen und der Gruppe Friends of INES. «Eines der Ziele ist, eine neue Debattenkultur zu entwickeln», sagt Mardoché Kabengele, der unter anderem als Moderator fungiert. Dabei halten die Macher*innen für entscheidend, dass die gesamte Produktion in der Hand von People of Color und deren Verbündeten liegt, um eine «Eroberung des Themas heraus aus den üblichen Medien» zu erreichen, wie sie es nennen. Schliesslich sei die übliche Berichterstattung viel zu oft stereotypisierend, marginalisierend und aus der immer gleichen weissen Mehrheitsperspektive. Anders als beispielsweise beim Podcast «Memleket», einem anderen Medienprojekt mit Augenmerk auf Diversität, das die Gruppe Institut Neue Schweiz (INES) produziert, finden sich bei «We Talk» allerdings keine Journalist*innen im Team. «Es ist ein Community-Arts-Projekt», sagt Kabengele. «Eine Produktion aus dem Untergrund – sozusagen generationen-, realitätenübergreifende postmigrantische Schwarmintelligenz.»

Mardoché Kabengele, Moderator und Mitproduzent. Foto: raumsinn

Tarek Naguib, der sowohl bei INES, beim Berner Rassismusstammtisch wie der Allianz gegen Racial Profiling aktiv ist, sieht die Produktion auch als Übung in politischer Teilhabe: «Es ist wichtig, sich sein eigenes Land anzueignen, es zu prägen, sich nicht mehr als Gast oder Bürgerin zweiter Klasse zu fühlen.» Zielgruppe seien alle, die «sich darauf einlassen mögen, mehr zu erfahren». Die Themen der einzelnen Folgen werden sich dabei keinesfalls immer nur um Migration und Rassismus drehen, so soll es auch mal um Kulturförderung gehen oder die Gestaltung des öffentlichen Raumes.

Naguib, Kabengele und ihren Mitstreiter*innen geht es zudem um etwas, was neudeutsch gern als Empowerment beschrieben wird: mehr Gespräche untereinander. «Dazu gehört, dass wir gemeinsam ein neues Selbstbewusstsein einüben», erklärt Naguib. «Inspiriert dazu wurden wir vom Karakaya-Talk.» Die deutsche Youtube-Talkshow mit dem Leitspruch «Für uns. Von uns. Ohne Gelaber» der mehrfach ausgezeichneten Berliner Moderatorin Esra Karakaya startete im November 2019, um Menschen mit Migrationsgeschichte zu Wort kommen zu lassen, die im Mediendiskurs chronisch unterrepräsentiert sind. Weil mit der Finanzierung durch ARD und ZDF nach rund einem halben Jahr aber bereits wieder Schluss war, versuchen Karakaya und ihr Team derzeit über Crowdfunding einen Neustart.

Bei «We Talk» kann man von einer gesicherten Finanzierung natürlich ebenfalls nur träumen. «Hätten wir ein Rundfunk-Budget, Räumlichkeiten und keine privaten Kosten, könnten wir uns viel besser fokussieren», sagt Mardoché Kabengele über die bisher aus den Ressourcen der drei beteiligten Kollektiven finanzierten Produktionsbedingungen. Entmutigen lassen sie sich davon jedoch nicht: «Dies ist erst der Anfang. Die Schweiz hat sehr viel Aufholbedarf. Es ist noch sehr viel möglich.»

Folge 1: Was ist emanzipatorische Politik? Raus aus der Bubble!
Mittwoch, 10. März, 20 Uhr
Wie schaffen wir gerechtere Verhältnisse für alle, die hier leben? Trotz oder gerade wegen unserer unterschiedlichen Erfahrungen und Realitäten? Der Historiker Cenk Akdoganbulut, die Juristin Lejla Medii, die Black-Lives-Matter-Aktivistin Samantha Wanjiru und die Präsidentin der Stadt St. Gallen Maria Papa diskutieren über Vielfalt und voneinander Lernen. Und über «unterschiedliches Wissen als Ressource und als Herausforderung für stärkere Bündnisse auf dem Weg zu mehr Demokratie».

We Talk. Schweiz ungefiltert – eine Talkshow aus dem Migrationsuntergrund
www.we-talk.ch
www.instagram.com/wetalk.ch
www.facebook.com/WeTalk.Kollektiv
www.youtube.com/channel/UCaHklZrcbvIsYHG7hbieGyQ